Online-Beiträge

Sergio Belardinelli: Die Familie als unersetzbare Ressource freiheitlicher und offener Gesellschaften

Aus der Familie als Keimzelle des gesellschaftlichen Lebens und des Staates scheint eine weniger bedeutende Form des individuellen Lebens und der Privatsphäre geworden zu sein. Zunahme der Scheidungen, Rückgang der Eheschließungen, Zunahme der Singles und der sogenannten "nichtehelichen Lebensgemeinschaften", rückläufige Kinderzahlen, medizinisch unterstützte Fortpflanzung sind zahlreiche Anzeichen eines deutlichen sozio-kulturellen Wandels, der genau in der von der modernen Kultur ausgelösten "Entwicklung zur Individualität", wie Georg Simmel es genannt hat, eine ihrer wesentlichen Möglichkeitsbedingungen hat. Wie bei den meisten historischen Veränderungen handelt es sich natürlich auch in diesem Fall um einen ambivalenten Prozess, der nicht nur durch viel Schatten, sondern auch durch viel Licht gekennzeichnet ist: Das Ende der Unterordnung der Frau unter den Mann, die Herausbildung von Familienbeziehungen, die immer stärker von gegenseitiger Verantwortung und gegenseitigem Respekt geprägt sind, ein gesteigertes Bewusstsein der Verantwortung, die die Zeugung von Kindern und ihre Erziehung mit sich bringt, sind Erscheinungen von positiver Bedeutung.

 

Lothar Häberle: Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in Deutschland - eine nicht nur verfassungsrechtliche Lageskizze

Auch wenn Zahlen nie die ganze Wirklichkeit reflektieren, geben sie doch oft interessante Einblicke. Gehörten noch bis in die 1960er Jahre hinein rd. 90% der Bevölkerung in Deutschland einer christlichen Kirche an, waren es 20071 noch etwas über 60%. Dem Islam wurden 2007 knapp 5% der Gesamtbevölkerung zugerechnet, den Konfessionslosen fast 29% - vor allem, aber nicht nur ein ostdeutsches Erbe. Hier geht es um die bei- den wachsenden Gruppen: um den Islam und - pars pro toto für die Konfessionslosen - um die Weltanschauung der Aktiven und Organisierten unter ihnen, den Säkularismus (oder Laizismus).

Josef Isensee: Das sozialethische Navigationssystem der menschlichen Natur

Jeder Mensch hat das seelische Bedürfnis, von den Mitmenschen gerecht behandelt zu werden. Er leidet, wenn ihm Ungerechtes widerfährt. Dass er seinerseits den anderen Gerechtigkeit schuldet, ist die sittliche Grundpflicht, die sich von selber versteht. Der Sinn für Gerechtigkeit ist dem Menschen angeboren. Er gehört zu seiner moralischen Grundausstattung. Er bildet gleichsam sein sozialethisches Navigationssystem.

Johannes Hattler: Menschenwürde und Menschennatur

Die Tradition des Menschenrechtsdenkens stand immer im Zeichen der Abwehr grundlegender Ungerechtigkeiten und willkürlicher Unterscheidungen. Die Grausamkeiten der Diktaturen des 20. Jahrhunderts haben schließlich zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geführt, weil man sich über Kulturgrenzen und verschiedenste Wertvorstellungen hinweg einig war, dass Massenvernichtung von Menschen eine Grausamkeit und Barbarei darstellt, der gegenüber die Würde eines jeden Menschen und grundlegende unveräußerliche Rechte unbedingt zu verteidigen sind. Dieser moralische Standpunkt, der jedem Menschen die Menschenwürde zuerkennt und diese als Prinzip der Menschen- und Grundrechte voraussetzt, sieht sich mittlerweile mit alternativen und konkurrierenden Begründungen konfrontiert. Die Annahme einer menschlichen Natur oder Vernunft als normativer Quelle der Würde erscheint heute problematisch, angesichts der vorherrschenden naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, des gesellschaftlichen Pluralismus und der kulturellen Differenzen einer globalisierten Welt.