Colloquienberichte

Im Folgenden finden Sie Berichte über abgehaltene Colloquien.

Colloquium 2014-15: Medienumbruch und Öffentlichkeit

Verändert der digitale Wandel die öffentliche Diskussion in unserer Mediendemokratie?

Colloquium - Teil 1 (2014)

Nach der Begrüßung der Gäste und Referenten und einer kurzen Einführung in das Thema durch Dr. Hattler eröffnete Professor Norbert Bolz den ersten Teil des Colloquiums am 8. November 2014 zum Thema „Medienumbruch und Öffentlichkeit“. Professor Bolz leitete seinen Vortrag über „Propaganda 2.0“ mit einer Analyse der aktuellen IS-Propaganda ein. Diese Propaganda, so Bolz, mache besonders deutlich, dass das, was die Massenmedien über die Welt vermitteln, eine Konstruktion ist. Nicht mehr die Journalisten – denn einen Zugang zu den Kriegsgebieten haben sie nicht mehr –, sondern die Terroristen selbst geben uns heute die Informationen. „Hier sendet sich der Terror selbst.“ Wie schon beim embedded journalism des Golfkriegs, bei dem eine objektive Beobachtung des Kriegsgeschehens minimiert wurde, stammt die Information nicht mehr aus einer unabhängigen Quelle.
Die zweite und provokante These von Norbert Bolz lautete: Propaganda ist die Public Relations der Bösen und Public Relations ist die Propaganda der Guten. Dass der Begriff Propaganda heute negativ besetzt ist, hat seinen bekannten Grund in der Nutzung durch den Nationalsozialismus. Allerdings hatte Goebbels diesen Begriff und das Konzept aus den Büchern von Edward Bernays. Dieser war bereits wichtiger Mitarbeiter im 1917 zur Unterstützung des US-Amerikanischen Kriegseintritts vom damaligen Präsidenten Wilson gegründeten Committee on Public Information. Bernays entwickelte seine Gedanken weiter und setze sie v.a auch professionell in großen Kampagnen erfolgreich um. Kaum eine Überraschung, dass Bernays heute als Vater der Public Relations gilt. Der Grundgedanke des von Bernays ausgearbeiteten Konzepts, das er von Walter Lippmann entlehnt und mit den massenpsychologischen Erkenntnissen seines Onkels Sigmund Freud weiterentwickelt hat, lautet:  Die Welt ist zu komplex. Die Massenmedien stehen genauso vor einem Chaos von Daten und Informationen. Es braucht Experten, die diese Daten und Informationen ordnen und schematisieren, um sie dann den Massenmedien zu Weitervermittlung an die Menschen zu übergeben. Organisation der öffentlichen Meinung durch Experten würde das Problem zu großer Komplexität lösen. Gesteuert von einem wohlwollenden Staat.  Abschließend verwies Bolz auf aktuelle Entwicklungen: Das Stichwort lautet „Nudge“. So der Titel eines Bestsellers der zwei amerikanischen Verhaltensökonomen Thaler und Sunstein aus dem Jahre 2008. Nudge bedeutet soviel wie „in die richtige Richtung schubsen“. Die propagierte aktive Beeinflussung von Verhaltensweisen versteht sich ebenfalls als Paternalismus, allerdings als „libertärer Paternalismus“. Nicht mehr Befehl oder Verbot, sondern die Nutzung psychologischer Mechanismen ist ihr Mittel. Barack Obama hat Sunstein zum Chefberater gemacht. David Cameron hat eine „Nudge Unit“ in seiner Regierung angesiedelt. So bestätigt sich Bolzs Eingangsthese: „Propaganda ist die Public Relations der Bösen und Public Relations ist die Propaganda der Guten.“

Petra Sorge, Medienjournalistin bei Cicero, belegte anhand vieler Beispiele ihre These, dass der Online-Journalismus eine Tendenz zu Subjektivität und Boulevard hat und diese Entwicklungen mittlerweile auch auf den Printbereich übergreifen. Zugleich stellen die großen Verlage auf Grund des ökonomischen Drucks immer mehr Mitarbeiter frei, so dass dort nötige Recherchenkapazitäten für Qualitätsjournalismus wegfallen. Beide Entwicklungen zusammengenommen seien für den Qualitätsjournalismus nicht förderlich. Am Ende verwies Petra Sorge als Hoffnungszeichen auf neue journalistische Initiativen gerade im Onlinebereich, bei denen sachliche, umfangreiche und ausgewogene Berichterstattung im Vordergrund steht.

Die anschließende Diskussion moderierte der Medienberater Richard Schütze aus Berlin. In seiner Überleitung führte er u.a. aus, dass im Unterschied zu Tageszeitungen, Magazine und Journale deutlicher weniger vom Medienumbruch betroffen sind. Die lebhafte Diskussion vertiefte Aspekte der beiden Vorträge und wurde durch interessierte Nachfragen aus dem Publikum nach den Informationsquellen der beiden Referenten ergänzt. Norbert Bolz erklärte, dass er beispielsweise Twitter weniger als Instrument für die Mitteilung eigener Standpunkte nutze, sondern primär als Informationsquelle. Dort folge er gut informierten Freunden und Bekannten und lese diejenigen Artikel, die sie empfehlen.

Zur Eröffnung des zweiten Teils am 31. Januar 2015 gab Dr. Hattler eine kurzen Rückblick auf die zentralen Aussagen des ersten Teils und leitete mit der Grundüberlegung des Colloquiums über auf die folgenden Vorträge. Professor Hans Mathias Kepplinger sprach als erster Referent über "Journalisten als Opfer des Internet". Die Medien, so Kepplinger, waren noch nie so mächtig wie heute. Aber sie waren auch noch nie so ohnmächtig wie heute. Ihre Macht demonstriert haben sie etwa durch den massiven Einfluss bei der Absetzung zweier Bischöfen und zweier Bundespräsidenten, einer "Neuauflage des Investiturstreits". Die Fähigkeit Kampagnen durchzuführen habe sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Unterstützt wird dies durch die im Journalismus besonders ausgeprägte Ko-orientierung: Das Berufsrisiko des Journalisten, sich mehr mit der Meinung der Kollegen als mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, ermöglicht die flächendeckende Gleichrichtung der Medienberichte.
Gleichzeitig hat die Machtlosigkeit der Medien ebenfalls stark zugenommen. Allerdings führte Kepplinger gegen das Vorurteil, das Internet habe wesentlichen Anteil am Zeitungssterben, die rückgängigen Verkaufszahlen schon seit den 1970er Jahren an. Was das Internet verändert hat, sind die Abwanderung der Anzeigen und der Rubriken Immobilien, Stellenmarkt und die diversen Kleinanzeigen. Die Einnahmeverluste setzen die Verlage ökonomisch stark unter Druck.
Daneben habe das Internet den Beruf des Journalisten "fundamental und unumkehrlich geändert". Sie haben die Gatekeeper-Funktion zum Teil verloren, denn sie entscheiden nicht mehr alleine über die Zugänglichkeit von Fakten und Wertungen. Allerdings entscheiden sie noch immer über die Reichweite. Informationen aus dem Internet erzielen auch heute noch erst dann Breitenwirkung, wenn "einige Qualitätszeitungen die Vorwürfe geadelt und konsensfähig gemacht haben".
Durch das Internet werde zusätzlich die ehemals nur am Stammtisch existierende Medienkritik öffentlich. Kritisiert wurden Journalisten schon immer, so Kepplinger. Nun aber wird die Kritik selbst zum Gegenstand der Meinungsbildung. Journalisten werden dadurch erstmals selbst zu Opfern breiter Kritik.
Wie sich das Verhältnis von Kampagnenjournalismus, ökonomischem Druck und Medienkritik durch das Internet in den nächsten Jahren insbesondere in Bezug auf die Qualitätszeitungen entwickeln wird, ist offen. Die offensive Strategie, durch Skandalisierung Auflage und Umsatz zu steigern, ist naheliegend. Die defensive Strategie, die Kepplinger bevorzugen würde, müsste Redaktionen und Umfang reduzieren und durch Positionierung der Journalisten als Beobachter und nicht als Akteure inhaltlich zum Qualitätsjournalismus zurückkehren. Dies schließe neben dem Verzicht auf Moralisierung von Fehlern und Fehlentwicklungen auch die Konzentration auf Kernthemen und die nüchterne und sachliche Berichterstattung ein.

Roland Tichys zentrale These in seinen Ausführungen über den "Strukturwandel der Öffentlichkeit" lautete: Medienwandel war immer technischer Wandel. Zuerst der Buchdruck, dann das Fernsehen und nun das Internet. Das rasante Wachstum der traditionellen Medien wurde in den 1960er Jahren durch das Fernsehen gebremst und verlagerte sich. Mit dem Fernsehen und mittlerweile mit Internet und youtube kommen die Bilder zurück. Mit den Bildern kommt die Fälschung der Realität, kommt Propaganda. Die richtige Interpretation dieser Bilder ist heute die Herausforderung an den Journalismus. Der entscheidende Unterschied zum Internet für Tichy: Das Fernsehen war wie die Presse ebenfalls ein autoritäres Medium.
Wie Kepplinger betonte auch Tichy, dass der digitale Wandel den Journalismus verändert hat. Jeder Nutzer ist heute potentiell Produzent. Jeder ist durch das Internet in der Lage, seiner Meinung Gehör zu verschaffen. Pressefreiheit ist heute nicht mehr, wie Paul Sethe es 1965 formulierte, die Freiheit von 200 sehr reichen Familien. Pressefreiheit beginnt heute bei ein paar hundert Euro für einen Computer, mit dem man einen Blog oder ein Online-Journal starten kann. Es kommt heute nicht mehr auf das Kapital, sondern auf den Grips an. Mit der wachsenden Anzahl an Online-Journalen wächst auch der Wettbewerb. Dadurch verlieren die traditionellen Medien ihre Gatekeeperfunktion. Die zentrale Neuerung durch das Internet für die Medien brachte Tichy auf die Formel: "Der Journalismus ist entautorisiert." Der "Helikopterjournalismus" funktioniert heute nicht mehr. "Man hatte sich angewöhnt, einzufliegen auf ein Bistum, einen Bundespräsidenten, ein Unternehmen und eine Brandbombe abzuwerfen. Der Dschungel war entlaubt, die Menschen tot, der Journalist weg. Das funktioniert heute nicht mehr, denn ab jetzt wird zurückgeschrieben." Für den Berufsstand sei das unerträglich. Das muss der klassische Journalismus lernen. Er ist nicht nur entautorisiert. Der Journalist ist auch nicht mehr selbst der Experte. Aufgrund der ständig wachsenden Komplexität sollten Journalisten sich eher als Moderatoren und Übersetzer verstehen.

In der anschließenden Diskussion, die Dr. Hildegard Stausberg moderierte, wurden die einzelnen Thesen ausführlich besprochen. Eingehend und kritisch wurde dabei in den anderthalb Stunden die Situation des Qualitätsjournalismus, insbesondere die FAZ analysiert. Roland Tichy schloss mit dem optimistischen Ausblick, dass das Internet, trotz der vielen schlechten Inhalte dasjenige Instrument ist, das dazu dienen kann, wieder eine liberale öffentliche Meinung zu etablieren und auch journalistische Qualität zu fördern. Denn beides, darüber waren sich alle Anwesenden einig, lassen die traditionellen Medien mittlerweile stark vermissen.

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